Marcus Neufanger: LIEBE / ARBEIT / KUNST
Juni 2025, Kunstverein Brackenheim

Der Titel der von Marcus Neufanger im Kunstverein präsentierten Ausstellung ist vieldeutig und verweist bereits auf das intertextuelle und intermediale Spiel, das für sein Schaffen so charakteristisch ist. Die Trias Liebe, Arbeit, Kunst nämlich ist nicht bloß eine rhythmische oder assoziative – sie ist ein Zitat und Umdeutung zugleich. Der von Neufanger ausgesuchte Titel bezieht sich auf den 1981 im Merve Verlag erschienenen Essayband Liebe Arbeit Kino des berühmten französischen Filmemachers und Drehbuchautors Jean-Luc Godard. Dieses schmale Büchlein – es versammelt u. a. Manuskriptauszüge, Projektförderungsanträge und Gedanken Godards zum Film – war seinerseits ein Manifest für das Denken in Zwischenräumen: zwischen Film und Philosophie, zwischen Kino und Theorie. Indem Marcus Neufanger daraus Liebe Arbeit Kunst macht, verschiebt er den Fokus vom Kino hin zur bildenden Kunst und zugleich von der Theorie zur Praxis: Der Künstler ersetzt das Medium (das Kino) durch seinen eigenen Erfahrungs- und Produktionsraum (eben durch die bildende Kunst) und aktualisiert damit Godards Versuch einer poetisch-analytischen Selbstverortung. Gleichzeitig ist der Ausstellungstitel eine augenzwinkernde Anspielung auf Selbstfindungsliteratur à la Eat Pray Love – womit Neufanger einerseits auf historische, andererseits auf gegenwärtige, populärkulturelle Formen künstlerischer und existenzieller Sinnsuche verweist.

Als er mir den Titel seiner Ausstellung mitteilte, schickte er mir noch einige ergänzende Zeilen dazu:

Liebe
Arbeit
Kunst

Weiter malen
Bilder anschauen
Lesen
Musik hören
Nichts tun
In der Sonne sitzen
Wein trinken
Eine rauchen
Einatmen
Ausatmen
Amen

Mit diesem Programm widersetzt sich Marcus Neufanger jeder Effizienzlogik. Kunst erscheint hier als gelebter Zustand, als Haltung, als kontemplative, genussvolle Bewegung durch den Tag, immer durchlässig für das Leben und für die Kunst. Mithin ist LIEBE ARBEIT KUNST nicht nur ein Titel, sondern existenzielle Formel, intermediale Referenz und ironisches Spiel – und so ganz im Sinne des Neufanger’schen Œuvres, das sich als Kommentar zum Kunstsystem lesen lässt.

Ausgestellt sind Arbeiten verschiedener Werkgruppen. Die älteste Serie – Marcus Neufanger hat sie Mitte der 90er-Jahre begonnen – ist die der Cover Paintings. Es handelt sich, wie der Name schon verrät, um gemalte Buchcover. Der Künstler verwendet hier reale Bücher als Vorlagen, fast ausschließlich stammen sie aus seiner Privatbibliothek. Diese ist kein repräsentatives Archiv, sondern eine subjektive Sammlung, geprägt von Neufangers Interesse für Künstlerbücher, Ausstellungskataloge, Philosophie und Poesie – kurz: für jene Publikationen, in denen Künstler sich selbst und ihr Werk verhandeln und ihre Position im Kunstsystem reflektieren.

Wenn Marcus Neufanger ein Cover für seine Werkserie auswählt, dann nicht willkürlich, sondern mit Blick auf Form und Inhalt: Ist es grafisch prägnant? Und lässt es sich in Malerei übersetzen? Ist die Entscheidung getroffen, beginnt ein Prozess der Aneignung. Den Malvorgang gestaltet Neufanger minutiös: Er trägt bis zu hundert Schichten Acrylfarbe auf, wobei er als Spachtel entzweigerissene Einladungskarten zu Kunstausstellungen verwendet – also wiederum Fragmente, Reste aus dem Kunstbetrieb selbst. Die Oberfläche der Leinwand erreicht dabei eine fast vollkommene Glätte. Erst dann beginnt Neufanger mit der Übertragung der Typografie, der Nachzeichnung von Buchstaben, Linien, Zeichen. So lässt er Gemälde entstehen, die – wenn wir vom vergrößerten Format absehen – formal möglichst exakt an ihre Vorbilder angelehnt sind, aber doch nie maschinell/technisch gefertigt anmuten, denn alles ist vom Künstler von Hand gemalt.

Es geht also nicht um bloße Reproduktion. Das Cover – ursprünglich ein funktionaler Umschlag, der zum Lesen einlädt – wird bei Neufanger zum autonomen Bild. So entsteht das Abbild eines Buches, das, wie der Kunsthistoriker Jens Peter Koerver treffend bemerkt, nicht aufklappbar ist, das keinen Inhalt hat, nicht gelesen werden kann. Die Bücher sind da und zugleich abwesend. Mithin werden die Acrylbilder von Marcus Neufanger zu einem Porträt des jeweiligen Buchs – und zugleich zu einem Porträt des Künstlers, dessen Namen es trägt. Denn gerade im Feld der Artists’ Books, der Künstlerbücher, ist das Cover nicht nur Verpackung, sondern Teil der Künstleridentität und -message. Wer publiziert, zeigt sich und seine Arbeit. Wer ein Künstlerbuch herausgibt, gestaltet – auf Dauer – seine eigene Sichtbarkeit. Indem Neufanger Buchcover in Malerei übersetzt, nimmt er teil an diesem Spiel der Sichtbarkeit, jedoch aus einer ironischen Distanz heraus. Seine Cover Paintings sind Hommage und Kommentar. Sie reflektieren über das Künstlerbuch als Ausdrucksmittel und verwandeln es in ein Neufanger’sches Kunstwerk.

An der Werkserie Portraits arbeitet Marcus Neufanger seit 2005: großformatige Zeichnungen in Pastell-Ölkreide auf Papier. Sie zeigen Künstlerinnen und Künstler der Gegenwart – und sie zeigen, wie diese Künstler sich zeigen. Für seine Porträts zieht Neufanger Fotovorlagen heran, zumeist aus dem Bildarsenal der sich darstellenden Künstler selbst. Neufanger reduziert dabei das fotografische Abbild, konzentriert es auf das Wesentliche. Er arbeitet, ohne Schraffuren oder Tiefenillusion, mit klaren Konturen und homogenen Farbflächen. Diesen fügt er handschriftlich Text hinzu, meist ein Zitat der dargestellten Person.

Ein Beispiel: das Porträt des isländischen Künstlers Sigurdur Gudmundsson. Wir sehen hier einen Mann im Profil, gekleidet in einem weißen Hemd. Sein Kopf ist in einen Regenbogen eingelassen, fast wie in einen Heiligenschein. Darüber stehen die Worte: Art begins where my thinking stops. Diese Aussage Gudmundssons suggeriert Transzendenz, in Verbindung mit dem Motiv des Regenbogens erhält das Zitat eine beinahe spirituelle Dimension. Und doch bleibt Neufangers Bild flach, zurückhaltend, bewusst einfach. Das Pathos wird gebrochen durch Reduktion.

Ein weiteres Porträt zeigt den nigerianischen Installationskünstler Mo Edoga mit aufgetürmten Dreadlocks, Brille, dichtem Bart und schwarz-weiß-gemustertem Hemd. Das Kinn hat Edoga leicht nach oben gereckt, er wirkt nachdenklich und stolz. Daneben das notierte Zitat: Chaos = die Geometrie der Natur … Man kann sehen, was denkbar ist. Ein Satz, der das Porträt mit Bedeutung auflädt, ohne es zu erklären. Was bleibt, ist eine Pose: selbstbewusst, stilisiert, einer Ikone gleich.

Die deutsche Konzeptkünstlerin Hanne Darboven ist mit einem weißen Pferd dargestellt. Während ihre rechte Hand den Nasenrücken des Schimmels umfasst, blickt sie uns – die Betrachter – mit ernster Mine direkt an. Das Pferd in seiner Erscheinung wirkt rätselhaft. Ist es ein Begleiter, eine Beschützerfigur oder ein Alter Ego der Künstlerin? Steht es für Kraft, Reinheit, Nähe? Das hier von Neufanger ausgewählte Zitat lautet lakonisch: Mein Geheimnis ist, dass ich keins habe. Auch hier wieder: Bild und Text stehen nebeneinander; sie behaupten etwas und stellen es gleichzeitig infrage.

Marcus Neufanger interessiert sich für das Künstler-Bild und für die Mechanismen, die dieses Bild erzeugen. In einer Zeit, in der der Kunstbetrieb die Person des Künstlers immer häufiger vor das Werk stellt, rücken Fragen nach Selbstinszenierung, Medialität und Markenbildung ins Zentrum. Genau das verhandeln Neufangers Porträts. In seinen Bild-Text-Kompositionen wird das dargestellte Künstler-Ich ebenso inszeniert wie befragt. Die Porträtierten erscheinen nicht als authentische Subjekte, sondern als Rollen, als Konstruktionen, als mediale Erscheinungen. So werden die Künstler zu Zeichen, ihre Gesichter zu Flächen, ihre Worte zu Textbildern.

Ist der Künstler heute noch Urheber eines Werks? Ist er nicht schon selbst zum Produkt geworden? Oder gar Teil eines Narrativs, das andere schreiben: die Kuratoren, die Medien, das Publikum? Marcus Neufanger gibt darauf keine Antwort. Aber er zeigt uns, durch seine Augen, wie diese Künstler-Bilder gemacht sind – und wie wir sie selbst fortschreiben (können).

Text: Dr. Giovanna-Beatrice Carlesso

Mehr zum Künstler: www.marcusneufanger.de